Was ein Pauschenpferd mit Musik zu tun hat? - Hier wird Rock energisch gegrätscht, ein kleines freies Solo macht die schnelle Schraube, Balladeskes und überraschende Pausen kreieren stille Überraschungsmomente, die Arrangements sorgen für Balance und Dramatik und die dynamische Rhythmusgruppe für Pep und einen effektvollen Abgang. Verschiedene Einflüsse im Dunstfeld von Jazz und Rock inspirieren das Quintett zu einem unbeschwert zusammenkombinierten Programm - gemeinsam kreiert und abwechslungsreich und mit wenig Interesse und Respekt dafür, wie „man“ es vorher gemacht hat. Die Kür wird definitiv gestrichen. Keine Konzession, keine Beweisführung, dass man das traditionelle Repertoire kennt. Aber auch keine radikale Absage an die Geschichte. Ganz im Gegenteil: mit einer Unbefangenheit, wie man sie eher bei Autodidakten antrifft, bezieht sie diese etwas ruppige Newcomer-Band ein – nicht ohne Risiko und etwa ähnlich spannend wie ein neuer Wetten- dass-Beitrag. Natürlich hat man allerlei Arten von Rock und Pop schon gehört und gespielt. Wer denn nicht? Ebenso Jazz - von den glatten, etwas abgelutschten Songs und Standards bis modalem und geräuschhaftem Free Jazz. Jedes Stück ein lustvoller Mix ist von diversem aus den musikalischen Ziehjahren. Und die Stimmung und Expressivität des Blues ist die grosse Klammer, die alles zusammenhält.
Zum Beispiel das Stück mit dem Titel „Hirsch“: Verschoben setzen je zwei Instrumente ein. Mit ruckhaftem Staccato entsteht ein freitonales Patchwork mit zwei kontrastierenden Staccato-Linien, ständig durchsetzt mit Lücken. Dazu gesellt sich ein kniffliger Drum’n’Bass- Beat des Schlagzeugs. Die allmählich einsetzende Improvisation der Bassgitarre macht alles fliessender und mündet quasi in eine gemeinsame Improvisation. Dann ganz anders das Sopransax-Solo, das sich ausgehend von drei Tönen mit Blues-Einflüssen und Sounds unraffiniert entwickelt. Alles wird zunehmend dichter und mündet in ein stampfendes Staccato des Keyboards, das rhythmische Muster mit Sopransax- Mehrklängen zum abrupten Ende führen. Das letzte Röhren des Hirsches?
Ein brüderlicher Geist herrscht in dieser Newcomerband und die gemeinsamen Kreationen sind geprägt vom starken Bedürfnis, sich auch als Komponisten und Arrangeuren zu zeigen. Pluralistisch besteht ein Stück fast immer aus zwei oder mehr Stimmungen, Rhythmen und Tempi, meist geformt aus kleinen Elementen, kleinen komponierten und arrangierten Teilen, die sich kontrastieren oder sich einer aus dem anderen entfalten. Es sind meistens kleine einfache Ideen, aber ihre Interaktion ist nie simpel. Die Improvisationen - solo oder kollektiv - sind in dieses Konzept eingebettet, ein wichtiger, aber kalkulierter Aspekt des Ganzen. Die Anfänge sind nie ein blosses Startaggregat der Improvisation, und das Ende führt häufig ganz woanders hin. Ohne eine solche zu sein, trumpfen die Fünf fast wie eine Grossformation des Swing oder frühen Rockjazz mit einer Reihe einfacher, orchestraler Kniffe auf – vielleicht mit weniger Virtuosität und Power, aber schnörkellos kompakt und effektiv. Und nicht alle Tage hört man eine Band mit der Bassklarinette als Leadinstrument.
Grosse solistische Exkurse gibt es (noch) nicht: es geht in erster Linie um die Interaktion der diversen Abschnitte der Kompositionen und Improvisation. Aber wenn improvisiert wird, dann immer engagiert mit einem klaren Bezug zur Stimmung oder zum Material des jeweiligen Abschnitts: urig die Bassklarinette, eher jazzig-lyrisch das Altsaxophon und das Keyboard mit starkem Bezug zu Bluesrock und Stimmungen mit Hall. Mit unerwarteten Wechseln der Gangart und Stilistik oder mit kurzen Unterbrüchen, welche den Zuhörer aufhorchen lassen, führt die musikalischen Reise durch eine detailreiche, aber stimmige Szenerie mit allerlei nicht so offenkundigen geschichtlichen Bezügen. Da kommt keine Langeweile auf. Die Band ist bereit.
Jürg Solothurnmann