Ich musste mich nie entscheiden, ob ich mehr Politiker oder mehr Musiker bin, ich war immer beides – aber meistens nicht gleichzeitig. Als Gemeindeprädident von Köniz war an Musik nicht zu denken. Ein solches Amt nimmt dich an Beschlag, sieben Tage in der Woche, 24 Stunden am Tag. Ich war 36 Jahre alt, als ich 1988 in diese Position kam. Die Jahre vorher waren geprägt von meiner Liebe zur Musik und wichtigen Erfahrungen mit der Musikszene der 1970er- und 1980er Jahre.
Wöhrend 20 Jahren war die Politik mein Beruf.. Ich stand in einer der grössten Gemeinden der Schweiz zuoberst in der Hierarchie; ich war zusammen mit meinen Gemeinderatskolleginnen und -kollegen verantwortlich für das Wohl von 40'000 Menschen, ich verwaltete ein 200 Mio. Budget und war Chef von 400 Angestellten. Köniz und das Wohl seiner Einwohnerinnen und Einwohner waren jahrelang mein ein und alles. Bis ich elf Jahre später, am 31. August 1999 kurz vor Erreichen des Gipfels des Alphubels im Wallis auf über 4000m einen Herzinfakt erlitt und von der AIR ZERMATT und der REGA in einer dramatischen Rettungsaktion ins Inselspital nach Bern überführt werden musste. An diesem wunderschönen Spätsommertag wurde ich ohne Vorankündigung und ohne warnende Signale daran erinnert, dass ich sterblich war. Seither lebe ich mit der Erinnerung, dass ich an jenem Tage auch hätte sterben können. Meine Frau hat mir damals das Leben gerettet. Sie besass als Einzige in der Seilschaft ein Handy, sie hatte sich die Notfallnummer aufgeschrieben und dort, wo ich nicht weiter konnte, war kein Funkloch. Glück im Unglück nennt man das.
Dieses Ereignis hat mein Leben verändert. Ich hatte überlebt, aber aus mir wurde ein Mensch, der den Boden unter den Füssen verloren hatte, der anfing, an sich zu zweifeln, Angst vor dem nächsten Infarkt und die Physis eines alten Mannes hatte. Der Weg zurück war beschwerlich, ich weiss gar nicht, ob ich ihn wirklich geschafft habe. Jeden Tag werde ich daran erinnert, jeden Tag muss ich mich zusammenreissen und meine Abscheu gegen die vielen Medikamente überwinden, die ich täglich schlucken muss.
Mein Rückzug aus der Politik war teils gewollt und teils erzwungen. Ich musste feststellen, dass ich nicht jene eiserne Gesundheit hatte, mit der ich weitere 20 Jahre Politik überstehen würde. Da warf mir das Leben einen Rettungsanker zu: die Musik. Ich schrieb neue Lieder, nahm neue Songs auf, aber ich tat es zunächst nur mit halber Konsequenz und Leidenschaft. Schnell merkte ich, dass meine musikalische Vergangenheit Schnee von gestern war und meine politischen Ämter eher eine Belastung für eine neue musikalische Karriere waren. Ich musste erfahren, dass sich die Rockmusik zu einer gut geschmierten Show-, Event und Verkaufsindustrie entwickelt hatte, in der niemand auf mich gewartet hatte und wo ich ein Nobody war. Mit einem Fuss war ich noch in der Politik, mit dem andern versuchte ich verzweifelt, das Gleichgewicht zu halten. Aber das gelang mir nicht, ich trat an Ort und entwickelte mich nicht mehr weiter. Es kamen neue gesundheitliche Probleme hinzu, ich legte Gewicht zu und baute bei den Leistungen ab. Es folgten Operationen, Therapien und ich wurde nicht wirklich gesund, weil mein ärgster Feind in mir, mein angeborenes „Restless Legs Syndrom“, mich nicht in Ruhe liess und meinen Körper daran hinderte, sich zu erholen. Wer diese seltene Krankheit hat, weiss, welchen Quälgeist man in sich trägt und wie unmöglich es ist, ihn abzuschütteln.
Das war vor 8 Jahren. Ich war 56 und wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Ich war «down on the ground» und musste mich wieder aufrappeln. Heute bin ich zwar immer noch krank, aber ich bin glücklich.
Als Politiker war ich erfolgreich, aber persönlich brachte mir dieses Leben kein Glück. Als Musiker bin ich nicht besonders erfolgreich, kein Radio will meine Musik spielen. Wer nimmt schon einen Politiker Ernst, der Musiker sein will! Ich bin zweifellos kein begnadeter Musiker. Wenn ich rede, hören die Menschen zu, wenn ich singe, weniger. Und doch ist es die Musik, die mich glücklich gemacht hat. Warum ist das so? Ich weiss es nicht. Ich habe in den letzten acht Jahren erlebt, wie viel Gutes man sich und anderen Menschen mit Musik tun kann. Musik weckt Emotionen, vermittelt Momente des Glücks; sie hilft Trauer zu verarbeiten und weckt Hoffnungen. Grenzen werden gesprengt, Beziehungen gestärkt, Vorurteile abgebaut.
Die Musik ist ein Geschenk und ich wurde reichlich beschenkt. Miit der Hilfe meiner Familie und Freunden konnte ich ein Werk schaffen, auf das ich stolz bin. Mx3, das Portal für junge Musik oder junge Musiker. Scheiss' drauf. Ich bin 65 und mache wieder oder immer noch Musik. Das ist keine Frage des Alters.