Ich bin ein Schwamm.
Ich sauge alles auf.
Eindrücke und Inspirationen aus dem alltäglichen Leben, aus Kunst und Literatur, von Menschen und ihren Geschichten; all das sammelt sich irgendwo in den geheimnisvollen Speichern meines Ichs. Die Speicher quellen auf und über, der Inhalt rinnt in kleinen Bächen in den Fluss, der die Musik ist.
Die Musik ist die mir nächste, direkteste Ausdrucksform, das natürliche Ventil, der Transformator aller Gefühle, Gedanken und Träume. Die Essenz des Erfahrenen, des Gefundenen, des Erfundenen wird zu Liedern. Es war schon immer so, dass ich mich als Gefäss, als eine Art Durchgangsstation begriff. Die Künstlerin nicht als Schöpferin im Sinn von Erfinderin, sondern als empfindsames Organ, welches das Aufgenommene, Gesammelte verarbeitet und formt. Ein äusserst intuitiver Prozess. Die Dinge fallen mir sozusagen in den Schoss, woher auch immer und ich sehe es als meine Aufgabe, die wichtigen zu verwenden und sie in Musik zu verwandeln. An dem Punkt beginnt dann die Arbeit.
Mein zweites Soloalbum „Earthbound“ entstand aus einer Stille, aus einer Art Stillstand heraus, was schwer zu ertragen war zeitweise.
Die Inspirationen, die sich in der Regel organisch einstellen, erschlossen sich mir nicht mehr. Ein langer Prozess des Sortierens, Verwerfens, Zweifelns, manchmal auch Verzweifelns setzte ein. Der Begriff „Earthbound“ gehört zu dieser Entstehungsgeschichte. Die zwei Bedeutungen des Wortes rühren etwas an in mir: Zum einen „erdwärts“, was bedeuten könnte, von wo anders herkommend, auf die Erde, die Welt kommen. In diesem Stadium der Schwebe steht es mir offen, ob ich tatsächlich zur Landung ansetze, oder ob ich doch lieber alles aus luftiger Höhe betrachten will. Zum andern „erdgebunden“, was sowohl gefangen sein, wie auch verwurzelt sein , Boden unter den Füssen spüren bedeutet. Diese zwei Pole werden mich mein Leben lang anziehen und beschäftigen und mich antreiben, weiter zu suchen: die Sehnsucht nach Leichtigkeit und fliegen und das Streben nach Ankommen, Sicherheit und Wurzeln. Die zehn Songs auf meiner neuen Platte sind die Essenz meiner intensiven Suche zwischen den beiden Polen.
Nadja Stoller, März 2015