Interview mit Neil Filby, Januar 2009, Von Jessica Hefti
„Ich kämpfe mehr für die Ruhe, als dass ich für die Musik kämpfe“
Neil Filby kommt aus England. Seit 15 Jahren ist er für die Musik bei Karl’s kühne Gassenschau zuständig und macht in seinem Tonstudio immer wieder Eigenproduktionen. Insgeheim träumt er aber von einer Rock-Tour durch Amerika.
Es gibt diese Geschichte über einen Typen, der in einer Bar Klavier spielt und niemand hört ihm zu. Eine Frau, schon ein wenig angetrunken, geht zu ihm und fährt ihn an: Wieso spielst du diesen Müll? - In diesem Moment unterbricht der Pianist sein Spiel und beginnt sein eigenes. Plötzlich ist es in der Bar ruhig. Und als er aufhört zu spielen, klatschen alle. Du hast selber Zeiten in einer Bar am Klavier verbracht. Was kommt dir in den Sinn, wenn du diese Geschichte hörst? In den dunklen Zeit als ich in Bars spielte, habe ich realisiert, dass ich gut genug bin, um live vor Menschen spielen zu können und auch deren Aufmerksamkeit zu bekommen. Noch früher habe ich realisiert, dass ich diese Aufmerksamkeit erzwingen kann. Als ich jünger war und auf der Strasse spielte, verhielt es sich gleich: Gibst du Vollgas und schaust den Menschen in die Augen - He, hier bin ich - desto eher stoppen sie und geben dir Geld. Eigentlich bin ich ein sehr scheuer Typ. Alles was von mir zu sehen ist, ist eigentlich Bullshit, nur Schauspielerei, im Innersten bin ich ein sehr scheuer Mann. Aber ich realisierte, dass ich die Kraft habe, wenn ich will. Ich kann laut genug sein, dass alle klatschen und tanzen.
Und doch ist es in einer Bar eigentlich nur Backgroundmusik. Die gibt es heute an vielen Orten. Wie reagierst du auf solche Geräuschkulissen im Hintergrund? Oh, ich hasse sie! Ich habe keinen iPod. Meine Ex-Freundin schenkte mir einen und ich habe ihn wieder zurückgegeben. Ich weigere mich, nur von Musik umgeben zu sein. Ich will spazieren gehen können, nachdenken und dabei meine Ruhe haben. Das ist paradox, nicht? (lacht) Ich kämpfe mehr für die Ruhe, als dass ich für die Musik kämpfe.
Ist das für dich eine Frage der Qualität? Nicht unbedingt Qualität, mehr Konzentration. Ich kümmere mich nicht um Schlechtes. Ich mag Shitty-Popmusic, wie etwa die Venga Boys. Für mich ist Müll cool. Schau, ganz früher sind meine Freunde und ich von Haus zu Haus gegangen und haben uns gegenseitig Aufnahmen vorgespielt. Wir sassen da und haben nichts anderes gemacht, als 40 Minuten der Musik zuzuhören. Ja, wir haben noch gehört und nicht tausend andere Dinge nebenbei gemacht! Wenn Menschen älter werden, gefrieren sie wie und sagen öfters: Oh, die Musik war so viel besser, als ich jünger war. - Ach was habe ich diesen Satz schon gehört… Da kann ich nur darauf antworten: Oh, du warst besser, als du jünger warst. Da hast du noch gehört und heute tust du es nicht mehr. - Es sind die jungen Menschen, die die Musik am Leben erhalten. Weil es auch die sind, die diese Leidenschaft dafür verspüren. Die auch das offene Herz haben, um auf Musik zu antworten und zu reagieren.
Aber wie wichtig ist dir die Reaktion der Menschen auf deine Musik? Sie war viel wichtiger für mich als ich jünger war. Heute bin ich 45, und es gelingt mir auch mal ruhiger zu sein. Früher wollte ich immer prüfen, ob ich die Reaktion der Menschen bekomme. Gerade als ich Klavier in den Bars spielte, wollte ich diese Aufmerksamkeit unbedingt. Ich wollte den Raum wecken, dass mir alle zuhören, und dafür hätte ich alles getan. Übertrieben gesagt, hätte ich mich dafür auch umgebracht.
Woran liegt es, dass du heute ruhiger bist? Auf meiner Reise habe ich realisiert, dass sich die Musik in Kombination mit Egoismus nicht unbedingt gut verträgt. Ich will nicht der Typ sein, der sich immer selber ins Zentrum der Aufmerksamkeit bringt. Ich könnte es, wenn ich wollte und das ist meine geheime Waffe (lacht).
Zum Anfang deiner Reise: Wann hast du beschlossen mit Musik dein Geld zu verdienen? Etwa als ich 22 oder 23 war…(überlegt noch) Ich studierte Theater und Kunstgeschichte an der Universität. Musik habe ich dabei immer gespielt, das Musikbusiness faszinierte mich – ich war Fan von vielen Bands aus der Punkzeit. Ich wusste aber nicht wirklich, was ich tun wollte. Dann als ich die Universität verliess, habe ich einen Job als Kabel-TV-Verkäufer angenommen. Was heisst, dass ich an die Türen im Zentrum London anklopfte und die Menschen zu überzeugen versuchte, mir einen Vertrag zu unterschreiben um Bullshit-Kabel-TV zu haben. Ich tat dies für zehn Monate, und ich wurde ziemlich gut darin.
Oh, da kannst du nicht mehr schüchtern sein… Nein, das ist so eine wirre und verrückte Sache. Es machte mich krank, ich fühlte mich sehr schlecht, schon bevor ich jeden Tag zur Arbeit ging. Aber ich war jung, tat es und irgendwie war es grad gut so.
Wie kamst du da wieder raus? Ich fühlte mich immer mieser. Und in der gleichen Zeit hat mich meine damalige Freundin verlassen. Sie hinterging mich mit einem Saxophonspieler. Und dann gründete sie auch noch eine Band. Etwas, dass eigentlich immer ich tun wollte. Ich stand da als ziemlicher Loser, und das war sozusagen der Kick-in-the-ass für mich. Ich kündigte meinen Job und ging auf das Sozialamt stempeln. Ich erinnerte mich, dass ich sehr fror. Ich war eingewickelt in einer Bettdecke und schrieb ein halbes Jahr lang Songs. Irgendwann habe ich dann meine erste von vielen gescheiterten Bands gegründet. Nebenbei zwar viele Jobs gemacht um zu überleben, aber doch nie mehr aufgehört daran zu glauben, dass es mit der Musik klappen würde.
Hast du nie daran gedacht, in eine andere Richtung zu gehen? Eigentlich habe ich das nun auch gemacht. Mein Traum war eher der mit viel Ruhm und Ehre. Mit Karl’s kühne Gassenschau mache ich heute Musik fürs Theater. Das ist sehr schön für mich. So schliesst sich der Kreis wieder. Ich bin bei der Musik geblieben kann, aber viele Sachen nutzen, die ich auch an der Universität gelernt habe. Heute bin ich dankbar, dass ich kein Popstar geworden bin. Obwohl es mein Traum war - ich wollte zu etwas wie U2 oder The Beatles gehören.
Nicht der Einzelhero, sondern in einer grossen Band? Aber ja… (kriegt glänzende Augen) Ich wollte der Songwriter sein, die federführende Kraft.
Mit vielen kreischenden Girls? Na klar, das war auch der Grund, wieso alle begannen Gitarre zu spielen… um die Mädchen rumzukriegen. Wer dachte da an die blöde Arbeit (lacht).
Wo hättest du gerne gespielt? Ach, es ist immer noch mein Traum… auch wenn es wahrscheinlich nie passieren wird…. Ich würde gerne einmal auf eine anständige Rock-Tour gehen. In so einen grossen Bus steigen und Amerika durchqueren, vielleicht an 60 Orten spielen, in Hotels übernachten – es muss nicht gross sein, ja aber einen anständigen grossen Bus braucht es schon und eine Road-Crew muss es auch haben.
Wirst du deinen Traum realisieren? Hmm… (wird nachdenklich) Ich glaube, ich werde bei Karl‘s kühne Gassenschau bleiben. Ich bin dort sehr glücklich. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass so was passieren wird. Ich glaube aber heute auf einem Level zu sein, wo ich es wahrscheinlich könnte. Ich bin gut genug, um Keyboard für die meisten PopBands zu spielen. Ich könnte deren Songs lernen und mitgehen. Ich habe ein paar Freunde, die solche Arten von Rocktours machen… ehhmm… mh nein, es wird nicht passieren. Oder vielleicht.