Biography
Es sind Geschichten von Mariachi-Bands, die ihre Musik und ihre Seele in der Nacht von Mexico verkaufen, menschliche Musikboxen seit Generationen, drüben auf der Plaza Garibaldi, wo die Drogenhändler sich als die neuen Zorros aufspielen. Es ist ein Rennen von Kellnern in den Gassen der Altstadt, Relikte einer Zeit «als die Garçons noch Stil hatten». Es sind Büschel kurzen Grases, die sich in Barcelona durch den Asphalt fressen, und tiefblaue Sprungtürme, olympische Reliquien, fast erdrückt unter der katalanischen Sonne. Sänger Max Usata wählt seine Themen wie Polaroids, die er aus seiner Erinnerung klaubt. «1992 war ich zehn. Im Urlaub in Italien verfolgte ich im Fernsehen einen Tischtennismatch. Manchmal genügt dies, um ein Vierteljahrhundert später einen Song zu schreiben.»
Als sich die fünf von Puts Marie aufmachten, dieses neue Kapitel aufzuschlagen, hatten sie allen Grund, einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Mehr als 15 Jahre gemeinsamen Musikmachens, haufenweise Erinnerungen, von den Anfängen als Bohémiens im umgebauten Wohnmobil zu den grössten Bühnen Europas, von Tourneen durch Südamerika zu Retraiten, eingeigelt im Aufnahmestudio. Ein dreijähriger Unterbruch gab allen Musikern die Chance, ihren individuellen Projekten freien Lauf zu lassen, bevor sie 2015 wieder zusammenfanden für das bemerkenswerte Album Masoch I-II. Jetzt fahren sie fort, zusammengeschweisster denn je, mit Catching Bad Temper, sieben fieberhaften Titeln, die auf der Erfahrung aufbauen, aber auch zu neuen Horizonten aufbrechen.
«Unsere grösste Angst war, uns zu wiederholen oder schlimmer noch, zur Selbstparodie zu verkommen», gesteht Max Usata. Die grandiose Eigenständigkeit der Band sollte keine Einschränkung werden, und die unerforschten Gelände verlangten danach, mit ein bisschen Gewalt erschlossen zu werden. «Wir hatten Lust, mit dem Rhythmus zu spielen, mit Rap, mit der Wiederholung, ohne in starren Loops zu landen. Das Ganze sollte roh und lebendig bleiben.» Um dies zu erreichen, reihten Puts Marie mehrere kreative Retraiten aneinander, von ihrer Heimat Biel bis nach Avignon. Und richteten sich dann in den Black Box Studios in Nantes ein, einem Hort analoger Technik, direkter Live-Takes und Aufnahmen auf Tonbändern. «Ich finde es sehr schön, dass jeder von uns sich individuell weiterentwickelt, mit seinen Vorlieben und seinen Gelüsten, aber dass wir immer wieder die gemeinsame Wellenlänge finden, wenn es darum geht, zusammenzuspielen.»
Das Ergebnis zeugt von einer Band auf dem Gipfel ihrer Schaffenskraft. Herrlich impressionistisch in ihrer Kunst, mit Noten Bilder voller vieldeutiger Emotionen wiederzugeben, mit einem Einfallsreichtum, welcher der Konsistenz und der Wirksamkeit der Kompositionen nie zuwiderläuft, liefern Puts Marie Songs von verstörender körperlicher Kraft. Der Traum ist nie weit entfernt vom Alptraum, die Poesie von der Rohheit, die Schönheit vom Laster. Catalan Heat schleicht sich auf dem unruhigen Faden einer überhitzten Gitarre voran, die Refrains von C’mon verführen zu Tagträumen, aus denen der Rap der Strophen jäh in die Realität zurückführt. The Waiter schwankt zwischen bruitistischen Sprüngen und bewusstem Lyrismus. Indian Girl räkelt sich im Echo einer funkelnden Gitarre und das 7'42 Minuten dauernde Garibaldi wagt es, nach einem langen Spaziergang im Halbdunkel der Dämmerung in einem bissigen Finale zu enden. Loveboat segelt auf einem vermeintlich friedlichen Groove dahin, doch unter der Meeresoberfläche lauern Riffe und Wracks. Wie die Sauerstoffblasen, die an die Oberfläche steigen, begleitet Rhapsody die Rückkehr an die Luft mit einer herrlich hypnotischen Kinderweise.
Mit Catching Bad Temper packen die Schweizer ihre Musik beherzt mit beiden Händen, wie einen fiebrigen Organismus, dessen Herzschlag sie begleiten und orchestrieren. Im Vollbesitz seiner Kräfte, aber offen für kühne Wagnisse, ist das neue Album von Puts Marie ein höchst ansteckender Körper, an den man sich vertrauensvoll schmiegt.