Die „human sound machine“ Arthur Henry macht Musik aus den Klängen der Welt
Die Welt besteht aus Schnipseln, und der Musiker Arthur Henry macht daraus Collagen. Der Produzent aus der französischen Schweiz ist zweifacher Loopstation Champion sowie Beatbox-Star, und vereint diese Klangkunst-Komponenten zu einer beeindruckenden Einheit. Sein aktuelles Ziel: Alle Länder der Welt zu bereisen und den Klang ihrer Städte festzuhalten, um daraus Musik zu machen!
Doch der Reihe nach: Im Kosmos von Arthur Henry kann alles zu Musik werden: So covert er etwa „Billie Jean“ von Michael Jackson – und das nur mit einem Fahrrad! Sattel, Speichen, Lenker funktioniert der Künstler kurzerhand um in Schlagzeug und Bass, und aus dem Miauen einer zufällig vorbeilaufende Katze mixt er die Vocal-Melodie. „Ich liebe es, wenn Dinge, die nicht dazu gemacht wurden, Klänge zu erzeugen, Musik machen“, sagt Arthur Henry. „Es begeistert mich, aus einem Teelöffel Zucker einen Sound zu bauen!“ Aus dieser Liebe für die sozusagen beseelte Umwelt stellte er während der Pandemie das Projekt „Sounds of the lockdown“ auf die Beine und rief auf Facebook Leute dazu auf, ihm Videos aus ihrem Alltag zu schicken, um daraus einen Song zu basteln. Das Ergebnis ist ein bemerkenswertes Zeitdokument: Ein galoppierendes Pferd, eine niesende Frau oder ein Baby, dass mit Besteck auf einer Schüssel trommelt – all dies verknüpft Arthur Henry dank seiner Kunstfertigkeit zu einer organischen Gesamtheit. „Noch mehr als die Sounds selbst mag ich, dass Leute sie eingebracht haben. Es waren einfach Momente, die sie mochten und mir gefällt, wenn man die Leute dahinter hört“, sagt Arthur Henry. Getreu der Devise: Die Menschen sind die Künstler, ich bin nur das Medium.
Dass Arthur Henry nicht nur Menschen und Dinge, sondern auch Städte zum Klingen bringen kann, verdeutlicht sein ambitioniertes neues Projekt „Sampling the World“: Darin möchte er abermals seiner Umwelt eine Stimme verleihen. Und schnallt seine Apparillos auf den Rücken, zieht durch die Gassen und schneidet von Mülleimern über Straßenbahnen, Tauben und natürlich den Bewohnern alles mit, was ihm vor die Nase kommt. Man würde sich nicht wundern, wenn in seiner Nähe auch Tiere anfangen würden zu singen. Den Anfang der Reihe macht Genf am 28. Mai. Das Ziel? „Ein Song pro Stadt. Und am liebsten würde ich mindestens eine Stadt pro Land bereisen – von allen 193 Ländern!“, sagt der Couchsurfing-Fan und lächelt fast schüchtern über dieses gewaltige globale Vorhaben. Er ist heilfroh, dass persönlicher Austausch und Begegnungen wieder möglich sind – die Inspirationsquelle für seine Musik. Der kreative Kopf vermag es, in seinen Produktionen völlig Fremde miteinander zu vernetzen, aus Disharmonie Wohlklang zu erzeugen, und die Lücken in dem zusammengetragenen Material fulminant zu füllen. Man könnte auch sagen: Die Kunst von Arthur Henry besteht darin, das Licht in den Rissen zu sehen – und andere darin strahlen zu lassen. „Ich mag die Stimmen von Menschen, selbst wenn sie nicht gut singen können, und wenn man die Person dahinter heraushört. In Genf traf ich diesen unglaublich coolen Rapper und fügte seine Aufnahmen mit einem Posaunisten eines anderen Samples zusammen und baute drumherum die Harmonien“, erzählt er. Doch aus Bescheidenheit unter den Scheffel stellen braucht „das lebende Drumset“ seine eigenen Künste keinesweg: Arthur Henry erzeugt mit Lippen, Zunge, Zähne, Hals derart virtuos Geräusche, dass man sich kurz fragt, ob der Mund wirklich zum Sprechen gedacht ist oder nicht vielleicht immer schon zum Musikmachen. Das Beatboxen ist eines seiner vielen Talente. „Die Pandemie stürzte mich in eine Sinnkrise und ich habe alles hinterfragt, was ich mache. Ich wollte nur noch etwas tun, von dem ich absolut sicher sein konnte, dass ich damit zu Positivität beitrage. Und als ich vor meiner Loopmaschine im Studio saß und die Sounds des Lockdowns all dieser Menschen zusammengetragen habe, wusste ich: Wow, DAS will ich machen!“, erzählt er und seine Augen strahlen. Und über sein internationales Projekt sagt er: „Ich habe mich noch nie so nützlich gefühlt.“ Als weitere Stationen in Planung für „Sampling the World“ sind bereits Istanbul, Rom, Island und Kyiv, wohin er im Herbst 2021 reiste und was ihn bis heute bewegt.
Auch live ist der studierte Informatiker ein echtes Erlebnis: Mal abgesehen von seinen Klangkünsten sind seine Konzerte audiovisuelle Spektakel. Wenn er „Sampling der World“ spielt, erscheint bei jedem Sound die Person auf der Leinwand, die ihn gemacht hat. Doch all das darf man nicht als Spielereien missverstehen – vielmehr handelt es sich dabei um Songs, die sofort einen Sog entwickeln, weil sich Henrys Leidenschaft unmittelbar überträgt.
Es heißt immer, Musik verbindet, bringt Menschen zusammen – manchmal tut dies ein Musiker selbst. Schon die erste Single „Geneva“ transportiert: Wir alle sind nur viele kleine Teile eines großen Ganzen. Eine Philosophie, die aktuell dringlicher kaum sein könnte, und an der die Welt gesunden könnte. Der Klangkünstler Arthur Henry leistet seinen Beitrag mit seiner Musik – und wird so zu einem Zeugen des Zeitgenössischen.